Tag 19

Für die morgendliche Wäsche im Wüstencamp wurden für uns alle Waschbeckenrinnen mit darüber montierten kleinen Wassertanks aufgestellt. Einen Busch fürs Klo zu finden, ist schlichtweg unmöglich.

Für Aufsehen im Camp sorgt an diesem Morgen das Team „Sterne des Morgenlandes“. Trotz jeweils großzügigem, zusätzlichen Unterbodenschutz an ihren Mercedes-Fahrzeugen – den gleichen W210T, wie wir sie fahren – haben sich die Ravensburger an einem Auto bei einem Offroad-Tripp den Benzintank im Heck aufgeschlitzt. Um den Spritbehälter bequemer und schneller reparieren zu können, stellen sie ihren Benz kurzerhand auf die Fahrzeugseite.

Heute Morgen haben sich im großen, arabischen Zelt bereits zahlreiche erwartungsfrohe Kinder im Grundschulalter eingefunden, die sich alle herausgeputzt haben. Einzelne Mädchen sind geschminkt, viele tragen lange Kleider, die Jungen teils Hemd und Weste. Es sind nicht nur jordanische Kinder, sondern auch Jungen und Mädchen von syrischen Flüchtlingsfamilien dabei. Sie erhalten gefüllte Schulranzen mit persönlichen Botschaften von uns Rallyefahrern.

Die Freude ist riesig. Die Kinder betrachten stolz die Ranzen erst von außen und schauen dann auch gleich nach, was sich innen drin noch verbirgt. Mit glänzenden Augen zeigen sie sich gegenseitig, was sie bekommen haben. Einzelne Teams verteilen zudem Spielsachen, Malblöcke, Stifte und Luftballons. Ein schönes Bild, wie die Kinder mit den Luftballons spielen.

Zum Frühstück gibt es für die Rallyeteilnehmer Thymianbrot aus leicht süßem Hefeteig und wieder viel zu süßen Tee und Kaffee. Heute wollen wir uns die älteste Höhlenkirche der Welt ansehen, zu dessen Besuch es gestern Abend für uns nicht mehr gereicht hatte. In Rihab weist uns ein Einheimischer, den wir zuvor in der Ortsmitte gefragt hatten, den Weg. Die Kirche hätten wir sonst nicht so schnell gefunden. Dort treffen wir auf Team 81 „Kamelion“.

Ein Dutzend einheimischer Buben halten sich auch rund um die Autos auf. Es ist irgendwie Unruhe im Team. Rasch wissen wir auch, warum: Nur wenige Minuten hatten sich die sechs „Kamelioner“ die Kirche angeschaut. Bei ihrer Rückkehr zu ihren Autos hatten sie festgestellt, dass alle ihre CB-Funk-Antennen fehlten. Einfach Kabel durchtrennt und Antenne gemopst. Oje, auch bei Venus waren sie schon am Scheibenwischer hinten dran, ehe Uta die Jungen aufgescheucht hat.

Einer der Kamelioner hört zwei Jungen tuscheln, rennt hinterher und ergattert eine der Antennen. Letztlich bekommt er nach längerem Hinterherlaufen und Diskussionen die beiden anderen Antennen auch wieder zurück. Wir beschließen, die Kirche im Wechsel zu besichtigen. Drei von uns gehen, während die anderen drei an den Fahrzeugen Wache halten.

 

Die Kirche an sich ist kein Gebäude im eigentlichen Sinn. Es gibt keinen Turm, überhaupt keine gemauerten Wände. Wir steigen ein paar Stufen hinab ins Erdreich. Dort unten ist es wie in einer Höhle oder einem ungemauerten Keller. Es ist kühl und ziemlich dunkel. Feierlicher war’s wohl am Vorabend, als auch Kerzen aufgestellt waren.

 

Gewöhnungsbedürftig in Jordanien sind die Schwellen in den Ortsdurchfahrten, die die schnellen Autofahrer zum Abbremsen zwingen wollen. Es klappt. Kaum einer rast über die Delfter Hügel im Orient. Man erkennt sie, trotz vorheriger Ankündigung per Straßenschild, manchmal nur sehr schlecht. Es gibt keine Fahrbahnbegrenzungen. Man schwimmt quasi auf der Fahrbahn im Verkehr mit. Die Straßen sind in recht gutem Zustand.

Wir bringen etliche Kilometer hinter uns auf dem Weg nach Jerash (auch Jarash genannt). Jerash ist das antike Gerasa, das an einer der wichtigsten Handelsrouten lag und weltweit als besterhaltene römische Siedlung gilt. Es geht zunächst durch den großen, 21 Meter hohen Triumphbogen. Das gesamte antike Gelände ist sehr weitläufig.

 

Eine Überraschung wartet für die Besucher im Südtheater. Drei Musiker in arabischer Tracht lassen ihre Dudelsäcke erklingen. Wir trauen unseren Ohren nicht: jetzt spielen sie das Lied „Bruder Jakob“.

Es ist sehr heiß. Günter von Team 19, der Simon und Sigrid entgegen kommt, meint, dass es sich lohnt, das Nordtheater anzusehen. Das können wir bestätigen. Es ist sehr gut erhalten. Auf dem Rückweg erstehen einige von uns noch ein paar Mitbringsel bei einem Händler auf der Cardo Maximus, der einstigen Prachtstraße. Ketten aus Perlen, die aus grünem mit leicht violettem Einschlag Jerashstein gearbeitet sind, gefallen uns besonders gut.

Von Jerash aus fahren wir weiter, nördlich an Amman vorbei nach Salt. As-Salt oder Salt geht auf das griechische saltos, der Wald, zurück. Der Ort war einst das kulturelle und politische Zentrum des Landes. 1921 wurde in Salt die Gründung des Staates Jordanien proklamiert.

 

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Unser Ziel ist die Internatsschule für gehörlose und taubblinde Kinder und Jugendliche „Holy Land Institute for the Deaf“ (HLID). Für diese christliche Einrichtung haben wir über 100 Hörgeräte mit an Bord. Diese großzügige Spende hatten wir vor unserer Reise von Hartmut Windmüller, Thomas Rupp und Rainer Dorsch in Backnang erhalten, alle bei der Paulinenpflege Winnenden tätig und Vorstandsmitglieder im Verein „Freunde und Förderer  der Gehörlosenschule in Salt, Jordanien“ (Allah Kariem Deutschland).

 

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Kaum sind wir durch das Tor auf den innen liegenden Schulhof gefahren, umringen uns auch schon die Kinder. Sie sind sehr interessiert an uns, an den Autos, wo wir herkommen, wie wir heißen. Wir sind alle überrascht und überwältigt über den herzlichen Empfang. Alle Mädchen und Jungen hier können nicht sprechen. Manche sind sogar blind. Sie leben in Bildern. Sie kommunizieren miteinander in der Gebärdensprache. Joel Hansen ist mit dabei und übersetzt für uns. Der 33-jährige Schweizer arbeitet seit über vier Jahren im HLID und ist mitverantwortlich für die Jungs im Internat sowie für die Kinderpatenschaften und die Öffentlichkeitsarbeit.  

 

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Wir begrüßen Bruder Andrew, der die Gehörlosenschule leitet. Das einzige Internat für Gehörlose in Jordanien liegt rund 30 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Amman entfernt. In der Schule, die 1964 gegründet wurde und unter der Leitung der anglikanischen Kirche steht, wohnen und lernen über 150 hörbehinderte und taubblinde Mädchen und Jungen unterschiedlicher Glaubensrichtungen.

 

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Welche wertvolle Arbeit an diesem Ort geleistet wird, davon können wir uns bei unserem Besuch selbst überzeugen. Joel Hansen und Alaa’ Nasrallah aus Jordanien, sie ist für die Mädchen mitverantwortlich, selbst taub und studiert nebenher Schulberatung und Psychologie (Master), führen uns durch die Schule. Wir erfahren, dass die Mädchen und Jungen vom Kindergarten an über die Schule bis hin zur Berufsausbildung betreut, gefördert, unterrichtet und ausgebildet werden.

 

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Das Schulsystem erstreckt sich von der Grundschule über die Mittelschule bis hin zur Oberstufe. Jedes Jahr können so einige Schüler an die Universität in Amman weiter studieren. Die Jungen werden in den Berufen Tischler, Maler, Schlosser und Automechaniker ausgebildet. Die Mädchen können sich für hauswirtschaftliche Berufe oder für Textilarbeiten (Nähen und Weben) entscheiden oder sie können auch den Beruf der Erzieherin erlernen.

 

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Viele Dinge sind uns in der Schule fremd. Und wir staunen, beispielsweise über die Weltkarte für Blinde zum Fühlen. Amüsiert entdecken wir die Waschbecken, die in vier unterschiedlichen Höhen angebracht sind. Bruder Andrew erzählt uns, dass die Schule in zwei großen Flüchtlingslagern die Behindertenarbeit, die es nicht gab, gestartet hat und seitdem auch fortführt.

 

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Beim Abendessen sind wir berührt, wie geordnet und gesittet alles zugeht. In  Gebärdensprache spricht Bruder Andrew, der die Einrichtung fast von Beginn an leitet, das Abendgebet, das er zu einer langen Geschichte ausweitet. Er erzählt von den Gästen, dass diese von weit hergekommen sind, aus Deutschland, und das mit ihren Autos. Und sie haben viele Geschenke mitgebracht. Dann der Höhepunkt: Mit großer Spannung wird das Päckchen der Gäste geöffnet. Was mag bloß drin sein? Jubel ertönt, als Bruder Andrew den Kindern und Jugendlichen die Hörgeräte zeigt. Ein sehr bewegender Moment für uns.

 

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Nach dem Abendessen sind wir auch beeindruckt über den Küchendienst. Mal sind die Jungs dran, mal die Mädchen, die dann jeweils den kompletten Abwasch erledigen. Wir sechs Turborostigen ziehen uns in ein Arbeitszimmer zurück, um zahlreiche Fotos fürs Roadbook auszudrucken. Danach dürfen wir die Nacht in Gästezimmern verbringen.